Wie können wir die Folgen der Digitalisierung meistern? (Teil 2)

Wohin mit den älteren Mitarbeitern?

Im Rahmen der Serie von Impulsreferaten stand am 14.11.2018 im Quartum-Zentrum in Eupen die Frage nach dem Wohin mit den älteren Mitarbeitern im Fokus der Fragestellungen. Eingeladen dazu hatte die KAP und die VOG André Renard. Die Referenten des Tages waren neben dem Direktor des Arbeitsamtes, Robert Nelles, die beiden Professoren G. Bäcker (Uni Duisburg) und Nägele (Uni Dortmund). Während Robert Nelles die Situation aus ostbelgischer Sicht beleuchtete, ging Prof. Bäcker auf die makro-ökonomische Dimension der Fragestellung ein, indes Prof. Nägele das Thema aus der Perspektive der Lebenslage betroffener Arbeitnehmer anging.

Nach Jahren der Frührente oder der Frühpension zeichnet sich ein Trend ab, gemäss dem Arbeitnehmer angehalten werden, länger zu arbeiten. Zum einen wird dies damit begründet, dass die geburtenstarken Jahrgänge nun ins Rentenalter kommen, während die geburtenschwachen Jahrgänge zu wenig zahlreich sind, um die Rentenkasse noch zu füllen. Auf der anderen Seite wird über kurz oder lang der stetig schärfer werdende Fachkräftemangel die Betriebe daran hindern, sich weiter zu entwickeln und am globalen Markt zu bestehen. Auf das Konzept der Lebenslage ging Professor Nägele (Universität Dortmund) in seinem Referat ein. Dieses Konzept stellt den Menschen und seine Biographie in den Mittelpunkt der Diskussion und behandelt ihn nicht als sei er lediglich eine Nummer oder eine Variable in der Lohnmasse.

Die Lebenslage der älteren Mitarbeiter wird schwieriger, sobald er die Pension bezieht. Der Gürtel wird enger geschnallt werden müssen, obwohl manche Ausgaben steigen. Der Mensch sieht sich einer Notwendigkeit gegenüber, neben der Pension sein Einkommen durch (neben)berufliche Erwerbsarbeit aufzubessern. Umgekehrt kann auch beobachtet werden, dass die Nachfrage nach ältere Mitarbeitern langsam aber stetig steigt. Die Betriebe brauchen Fachkräfte. Dementsprechend steigt die Beschäftigungsquote derer, die zwischen 55 und 65-67 Jahre alt sind – teils weil diese Menschen noch fit sind, teils weil sie ihr Einkommen angesichts der Lebenshaltungskosten aufbessern müssen. Befragt nach den Gründen und Motiven, warum sie länger arbeiten, antworten die Menschen wie folgt (Auszug aus der Power Point Präsentation von Prof. Nägele):

 

Es ist nicht nur der Geldbedarf, der zur Arbeit motiviert, sondern auch die Suche nach Kontakten oder nach körperlicher und geistiger Fitness, die oft genug zitiert wird.

„Die gerontologische Forschung bestätigt keinen geradlinigen Rückgang in der beruflichen Leistungs- und Innovationsfähigkeit/-bereitschaft. „Für die Produktivität der Erwerbstätigen ist nicht nur die physische und psychische Leistungsfähigkeit entscheidend, sondern auch Erfahrungswissen und soziale Kompetenz. Produktivität hängt ganz wesentlich von der Ausgestaltung der jeweiligen Tätigkeit ab“ (Demografiebericht der BR 2015). Die zentralen Komponenten Leistungs- und Innovationsfähigkeit/-bereitschaft wie Gesundheit, Qualifikation und Kompetenzen, Arbeitsbedingungen, Werte und Motive sowie privates und soziales Umfeld incl. work-Life-Balance sind wichtige Stellschrauben für sicherndes/förderndes Handeln. Vor allem die Betriebe sind gefordert.“ (Prof. Nägele) Zu beobachte ist eine Verschiebung in den Lebensläufen der Menschen. Dies dokumentiert der Professor anhand nachstehender Power Point :

 

Er unterscheidet zwischen fünf Lebensphasen:

  • Beruflicher Lebenszyklus (von der Berufswahl bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben)
  • Betrieblicher Lebenszyklus (vom Eintritt in das Unternehmen bis zum Ausscheiden, Laufbahn innerhalb einer Organisation)
  • Stellenbezogener Lebenszyklus (vom Antritt einer bestimmten Stelle im Unternehmen bis zum Stellenwechsel bzw. bzw. Austritt aus dem Unternehmen)
  • Familiärer Lebenszyklus (von der Gründung einer Familie über die Kindererziehung bis hin zur Betreuung von pflegebedürftigen Familienangehörigen)
  • Biosozialer Lebenszyklus (Förderung der unterschiedlichen Potenziale in unterschiedlichen Lebensaltern)

Daran knüpfen sich eine Reihe von Fragen an. Wie entwickeln sich die Arbeitsfähigkeit und die Beschäftigungsfähigkeit („employability“) in den einzelnen Lebensphasen? Wird es zu Modellen kommen, in denen die Altersteilzeit nicht mehr nur ein Mittel ist, Betriebskosten einzusparen? Werden die Tarifpartner Abkommen aushandeln, die dem demographischen Wandel Rechnung tragen? Wird es altersgerechte Tarifverträge geben, bei denen das Ausfallrisiko gemindert werden kann?

Das Krankheitsrisiko lässt sich keineswegs als alterstypischer Automatismus interpretieren, sondern muss wegen seiner spezifischen Verteilung auf bestimmte Branchen, Berufe bzw. Tätigkeiten als typisches Berufsrisiko angesehen werden (Bestes Beispiel: Krankenstand und höheres/früheres Erwerbsminderungsrisiko in den Pflegeberufen). Es dominiert vorwiegend in gering qualifizierten Beschäftigtengruppen mit hohen Anteilen an schweren körperlichen Tätigkeiten und geringen individuellen Freiheitsgraden und solchen Arbeitsbereichen, in denen typische Arbeiter- und Produktionstätigkeiten vorherrschen. Zudem sind psychische Belastungsfaktoren auf dem Vormarsch.

Insbesondere die folgenden Belastungen bzw. Arbeitsanforderungen können in diesem Zusammenhang als alternskritisch angesehen werden: hohe physisch-psychische Belastungen wie zum Beispiel statische Muskelarbeit, Spitzenbelastungen, repetitive Tätigkeiten, hoher Krafteinsatz wie etwa schweres Heben und Tragen, gebeugte oder gedrehte Körperhaltung und hohe Konzentrationsanforderungen, stark belastende und gefährliche physikalisch-chemische Arbeitsumgebungen wie zum Beispiel Lärm, Staub, Hitze oder Kälte bzw. witterungsbedingte Einflüsse, mangelhafte/neue Formen der Arbeitsorganisation, (tayloristisch, Routine, Lage und Dauer der Arbeitszeit (incl. Nacht- und Schichtarbeit), Zeit- und Termindruck, Verantwortungsdruck, Leistungs(selbst)kontrolle, Über- und Unterforderung, Arbeitsumgebung, kein kollegiales und Führungsumfeld, fehlende ergonomische Arbeitsplatzgestaltung, fehlende Demografiesensibilität auf der Leitungsebene, keine Anerkennungskultur). (Prof. Nägele)

Foto: Professor Nägele, Universität Dortmund, am Rednerpult im Quartumzentrum Eupen (14.11.2018)
 

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