Wie können wir die Folgen der Digitalisierung meistern? (Teil 1)

Foto: Professor Dr. G. Bäcker, Universität Duisburg, am Rednerpult im Quartum-Zentrum (Eupen, 14.11.2018)

Wohin mit den älteren Mitarbeitern?

Im Rahmen der Serie von Impulsreferaten stand am 14.11.2018 im Quartum-Zentrum in Eupen die Frage nach dem Wohin mit den älteren Mitarbeitern im Fokus der Fragestellungen. Eingeladen dazu hatte die KAP und die VOG André Renard. Die Referenten des Tages waren neben dem Direktor des Arbeitsamtes, Robert Nelles, die beiden Professoren G. Bäcker (Uni Duisburg) und Nägele (Uni Dortmund). Während Robert Nelles die Situation aus ostbelgischer Sicht beleuchtete, ging Prof. Bäcker auf die makro-ökonomische Dimension der Fragestellung ein, indes Prof. Nägele das Thema aus der Perspektive der Lebenslage betroffener Arbeitnehmer anging.

Ausgehend von verschiedenen Studien, darunter auch die kürzlich erschienene Studie von Agoria, müssen wir feststellen, dass in der Folge der Digitalisierung der Arbeitsabläufe in den Industrie-Betrieben und im Dienstleistungssektor damit zu rechnen ist, dass bis zu 300.000 Arbeitsplätze belgienweit wegrationalisiert werden. Natürlich werden auch neue Arbeitsplätze geschaffen, sodass unter dem Strich die arbeitsmarktpolitische Katastrophe wohl ausbleiben wird. Bleibt nur die Frage, wer zu den Gewinnern und wer zu den Verlierern dieser Entwicklung gehören wird. Anzunehmen ist, dass geringer Qualifizierte in einer mehr und mehr digitalisierten Arbeitswelt weniger Berufsperspektiven haben werden als Ingenieure, Informatiker oder Naturwissenschaftler. Anzunehmen ist aber auch, dass die Betriebe in Zukunft weniger auf Arbeitnehmer, dafür aber mehr auf Selbständige zurückgreifen werden.

Trend geht nicht an der DG vorbei

In seiner einleitenden Stellungnahme betonte der Direktor des Arbeitsamtes, Robert Nelles, dass der angekündigte Trend in Ostbelgien zur Zeit noch nicht zu einem Kernthema der Beschäftigungspolitik gemacht wurde, obwohl anzunehmen ist, dass er nicht an den ostbelgischen Betrieben vorbei ziehen wird. Auch in de DG werden in Zukunft Arbeitnehmer im Betrieb durch Maschinen und Informatikprogramme ersetzt – nur fragt sich, in welchem Ausmaß. Statistische Extrapolationen lassen vermuten, dass rund 5.000 Arbeitsplätze dem Risiko einer Wegrationalisierung ausgesetzt sein werden, darunter 1.600 die von älteren Arbeitnehmern besetzt sind. Auch wenn Extrapolationen die Zukunft nicht voraussagen können, so stellt sich dennoch die Frage, inwieweit die Politik einerseits und die Sozialpartner andererseits dazu beitragen können oder sollen, dass den von Rationalisierung bedrohten Arbeitnehmern eine berufliche Perspektive für danach erhalten bleibt. Eine Schlüsselkompetenz der Gemeinschaft – nämlich die berufliche Aus- und Weiterbildung – wird hier gefordert sein, um die Betroffenen nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen.

Auch im Alter noch leistungsfähig

Oft sind es die älteren Arbeitnehmer, die der Rationalisierung zum Opfer fallen. Erstens kosten sie dem Arbeitgeber mehr als ein jüngerer Kollege, zweitens ist althergebracht überliefert, sie seien weniger leistungsfähig. Das stimmt so nicht, meint Professor Bäcker von der Universität Duisburg: „Die Leistungsfähigkeit ändert sich mit dem Alter. Es gibt Bereiche, wo der ältere Kollege nachlässt, so etwa im Bereich der physischen Belastbarkeit. Aber es gibt andere Bereiche, wo er im Vergleich zu jüngeren Kollegen deutlich im Vorteil ist, so z.B. verfügt er über berufliche Erfahrungen, über soziale Netzwerkkontakte, die er im Bedarfsfall für den Betrieb einsetzen kann.“

Richtig ist, dass Menschen, die ein Leben lang schwere körperliche oder stressige intellektuelle Arbeit geleistet haben, im Alter nicht mehr so einsatzfähig sind, wie ein immer noch fitter Senior mit 65 Jahren. Richtig ist aber auch, dass die Politik nicht das Eintrittsalter für die Pension heraufsetzen darf, ohne dass den Betroffenen redliche arbeitsmarktpolitische Perspektiven angeboten werden. Dem wird mit steigender Lebenserwartung der Menschen in Zukunft noch mehr Rechnung zu tragen sein. So kann die Wissenschaft nachweisen, dass die kristalline, erfahrungsgebundene Intelligenz über das Erwerbsalter hinweg aufgebaut wird und nicht abnimmt, während die fluide Intelligenz, die für die schnelle Bewältigung neuer kognitiver Probleme wichtig ist, mit dem Alter zu schwächeln beginnt.

Belastungsschwerpunkte verlagern

Es kommt darauf an, inwieweit der Betrieb gewillt und in der Lage ist, die Potentiale der älteren Mitarbeiter richtig zu erkennen, die Belastungsschwerpunkte zu verlagern und entsprechend geeignete Arbeitsbedingungen zu schaffen. Wobei über die verschiedenen Sektoren der Ökonomie hinweg festgehalten werden kann, dass dort, wo die Verbleibdauer  der Älteren im Betrieb zunimmt, auch für den Betrieb Vorteile entstehen, die nicht mittels Informatikprogrammen ausgeglichen werden können. Voraussetzung ist allerdings, dass sich eine Betriebskultur entwickelt, bei der berufliche Weiterbildung nicht nur im Hinblick auf kurzfristige sondern auch langfristige Effekte hin angelegt ist. Selbst angesichts weltweit verschärfter Wettbewerbsbedingungen kann nicht festgestellt werden, dass Betrieben, die ältere Mitarbeiter schulen und halten, aus diesem Grund erhebliche Nachteile gegenüber ihren Konkurrenten entstehen.

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